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23. Mainzer Minipressen-Messe
Juni 2015


Alle zwei Jahre ist die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt die wichtigste Anlaufstelle für Minipressen
und Kleinverlage jeder Couleur. Auf der Mainzer Minipressen-Messe, einem internationalen Jahrmarkt der Eigenbrötler, versammeln sich die Jünger Gutenbergs zu einem einzigartigen Happening, das einen repräsentativen Querschnitt der alternativen Verlagsszene bietet. Zur 23. Minipressen-Messe pilgerten sie denn auch wieder turnusgemäß für vier Tage nach Mainz zu „Europas größter der Kleinen“, auf der sich diesmal 250 Aussteller in der Mainzer Rheingoldhalle den Besuchern präsentierten.
 

Es sind dies Individualisten, die sich nicht von Bilanzen und Auflagenstärken getrieben fühlen, sondern ihrem Eigensinn zwischen Neoavantgarde, linkem Engagement und ästhetischem Nonkonformismus frönen. Die Idée fixe dieser Bibliomanen gilt dem „schönen Buch“. Das muss nicht zwingend im puren Ästhetizismus enden, sondern verbindet sich oftmals mit einem sanften Aufbegehren, einer Fiktion der Revolte mit ästhetischen Mitteln und zeitkritischen Texten. 

„Ich will das drucken, was Verlage nicht riskieren können oder wollen. Ich suche keine Bestseller, sondern junge Talente“ erklärte schon Viktor Otto Stomps (VauO), legendärer Gründervater der Messe und Namensgeber des mit 5000,- Euro dotierten Preises, den die Stadt Mainz für besondere kleinverlegerische Leistungen in den Sparten Verlag und Zeitschrift vergibt. Stomps, der es in den 60er Jahren mit seinen Literarischen Pfingstmessen in Frankfurt trotz ermutigender Ausstellungserfolge nur auf drei Durchgänge (1963, 1964 und 1968) brachte, hatte die Idee einer Messe für Außenseiter, Einzelgänger und Selbstdrucker als Alternative zur Frankfurter Buchmesse nicht mehr losgelassen. 1970, im Todesjahr des Kleinverlegerpapstes holte Norbert Kubatzky die Messe nach Mainz. 90 Aussteller zeigten ihre Produkte, etwa 9000 Besucher zählte die Premiere. Aus den bescheidenen Anfängen entwickelte sich bald die größte Verkaufsmesse dieser Art mit begleitenden Ausstellungen, Lesungen, Podiumsdiskussionen und Informationsveranstaltungen.
Nach wie vor lebt die Bücherschau von der kreativen Vielfalt der Aussteller, die sich zu einem nicht unerheblichen Teil noch in der Tradition der alten Handwerker- und Künstlergilden sehen.
„Ich mache nie zweimal das selbe, das ist das Geheimnis meines Misserfolgs“, erklärte der Holzschneider, Typograph und Lyriker Wofgang E. Herbst in seiner Dankrede zur Verleihung des V.O.-Stomps-Preises 1995. Der selbstironische Kommentar trifft wahrscheinlich heute noch genau ins Schwarze der meisten der hier versammelten Büchermacher, die sich im Balanceakt zwischen verlegerischer Leidenschaft und finanziellem Risiko auf die Position eines unverhohlenen Idealismus hinüberretten. Oft genug bleibt  DSF3487 2ihnen damit der Zugang zum etablierten Buchmarkt mehr oder weniger freiwillig versperrt. Qualität statt Quantität, das Blei in der Hand wiegt mehr als EDV-gestützte Dutzendware; das Unikat, die Mini-Auflage so mancher Pressendrucke auf handgeschöpftem Büttenpapier erreichen auch preislich selten eine breitere Öffentlichkeit. Für sie ist die Mainzer Minipressen-Messe allerdings seit jeher ein ideales Forum zur Selbstdarstellung.
Das unverwechselbare Flair ergibt sich immer noch aus einer vielfältigen Mischung der Aussteller: Underground steht neben Kirchlichem, Fachliteratur neben Kunstpostkarten, Klebe und Bastelbögen stoßen auf Art-Objekte. So wirkt die Verkaufsmesse optisch und thematisch wie ein kaleidoskophaft-heterogenes Gedankenwerk. Gerade dieser unkonventionelle Zuschnitt ohne wirtschaftspolitische Vorgaben macht dieses Treffen für nationale und internationale Kleinverleger so interessant.

Das besondere Kochbuch: Elf internationale Künstler 
haben sich mit ihren Werken, die auch unterschiedliche
Drucktechniken zeigen, an dieser Mappe beteiligt. Ein 
optisches und gleichsam kulinarisches Feuerwerk,
gesammelt und in From gebracht von Christa und
Klaus-Uwe Heinrich (Buchmacherey Helserdeich), 
V.O. Stomps-Förderpreisträger von 2009.




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 DSF3484                    Mappenwerk von Wolfgang Keller, WK art-tales:
                   Neben seinen in düsterem Schwarz-Weiß
                   gehaltenen Comic-Erzählungen, die im Kasper 
                   Verlag erschienen sind, gestaltet der Künstler  
                   und "graphische Erzähler" auch solche  

                   aufwändigen Kunstbücher. 







Dennoch hat sich das Profil der Messe im Lauf der vergangenen Jahre sichtbar verändert und die Zahl der Aussteller deutlich ausgedünnt: weniger Plakat- und Postkartenmeer, weniger alternative Szene, dafür eine stärkere Konzentration auf ernst zu nehmende kleinverlegerische Projekte und das kunsthandwerklich erstellte Buch. Unter den 250 Kleinverlagen widmeten sich 119 der Buchkunst, 35 Kunst und Kultur, 24 präsentierten ihre literarischen Programme; rund zehn Prozent der Aussteller kamen aus dem Ausland (Belgien, Großbritannien, Niederlande, Schweiz), darunter auch ein Verlag aus Mauritius und eine Künstlerin aus Süd-Korea, die hier ihre Mail-Art-Kunstwerke vorstellte. Damit hat die Messe an Bedeutung durchaus hinzugewonnen, vielleicht auch mit Blick auf das Lager der Fachbesucher (Buchhändler), Sammler und Buchliebhaber. 

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"Abendlied": V.O. Stomps-Preisträgerin Andrea Lange (Sonnenberg-Presse) präsentiert einen Text von Wolfgang Borchert auf sechs doppelseitigen Kombinationsdrucken in den Techniken Kaltnadelradierung und Holzschnitt; Handsatz und Buchdruck auf Büttenpapier. 

Die Verleihung des V.O.Stomps-Preises im Gutenberg-Museum der Stadt Mainz, fand erstmals am Vorabend der Messe statt. Den Hauptpreis (dotiert mit 3500,-€) konnte die Sonnenberg-Presse Chemnitz/Kemberg von Andrea Lange, Bettina Haller und Birgit Reichert entgegennehmen. Der Förderpreis (dotiert mit 1500,-€) ging an den Jaja-Verlag von Anette Köhn aus Berlin-Neukölln – schon der Name ist eigentlich ein Ausschlussargument für eine Verlagsgründung und erinnert eher an die „Ja“-Produkte im Supermarkt. Mittlerweile umfasst das Verlagsportfolio rund 50 Werke, wie beispielsweise den Comic über den Drachen Leto und seine Reise in die Halong-Bucht in Vietnam. (Das Buch wurde übrigens kürzlich ins Vietnamesische übersetzt.) leu

Weitere Informationen zur internationalen Buchmesse 
der Kleinverlage und Handpressen unter: www.minipresse.de