1 dsc 0011.bearb.nic.sw

Wäscherin im Wahn

Wie sich Hanna, die Wäscherin, das Heldenleben vorstellt, genau so ist es: Die Figur des Tages ist der heroische Trottel, oder sein weibliches Gegenbild, Jeanne D‘Arc, diese geheiligte Männerphantasie.

Sie sieht aus wie eine Kreuzung aus Buschs Witwe Bolte und dem Struwwelpeter, nur viel erotischer. Ihr Sprachvermögen oszilliert zwischen dem Röcheln von Mainzelmännchen und einem quakenden Mickymaus- O-Ton; sie ist die aus Seifenschaum und Schmutz geborene Traumgeburt, die zwischen mörderischen Blechwannen und einem trägen Wäscheberg blutige Aventuren und geile Schlachten zu bestehen hat. Gardi Hutter, „die beste Clownin der Welt“, entführte das Mainzer Publikum im Frankfurter Hof in eine fabelhafte Kinderwelt, die so zauberhaft komisch wie freimütig mit der Wirklichkeit zu spielen weiß.

In der Maske der drallderben Waschmamsell Hanna, die in ihrer naiven Phantasie als heilige Heroine tragikomisch über sich hinauswächst, triumphiert die Schweizer Clownin mit einem brillant in Szene gesetzten Schabernack voll kostbaren Schwachsinns: Da wird ein Waschbecken zur Falle mit schwindelerregenden Abgründen, Wäscheklammern zu bissigen Daumenschrauben; ein Waschzuber, in den sich Hanna unfreiwillig wie Sauerkraut hineingestopft hat, fährt plötzlich als Kriegsschiff über die Bühne und immer fallen grausig-grotesk die erdachten oder selbstgebastelten Leichen übereinander. Im wilden Galopp auf dem Wäscheberg grinst selbst die Erotik aus einem, ach, so heilig ausladenden Hinterteil, dass sogar die Machtphantasien einer Wäscherin im Waschbrettharnisch nach unverhülltem Männlichkeitswahn ausschauen.
   

Diese Liaison aus Clownstheater und Commedia dell‘Arte macht Gardi Hutter mit ihrem Stück „Jeanne d‘Arppo – Die tapfere Hanna“ unter ihrem Co-Autor und Regisseur Ferruccio Cainero vom Teatro Ingenuo aus Mailand zu einem – wenn nicht dem – Höhepunkt des Frauenfestivals „femme culturelle“. leu

Erschienen in MRZ – und immer noch eine meiner persönlichen „Schnulzen“! Mehr zur Ausnahmekünstlerin Gardi Hutter unter www.gardihutter.com und zu ihrem Programm „Jeanne d‘Arppo“ auf YouTube unter dem Link:
http://www.youtube.com/watch?v=ZPdFJYK6fYY





Jens Didinger Portrait.sw

Jens Didinger zaubert flüssiges Gold
zur Rheinromantik

Außergewöhnliche Weine wachsen in exzeptionellen Lagen. Was in dieser Hinsicht für den Rheingau der Rüdesheimer Berg, ist der sonnenverwöhnte Bopparder Hamm für den Mittelrhein. Die größte zusammenhängende Steillage des Weinbaugebiets flankiert den mit sieben Kilometern längsten Bogen (lateinisch hamus = Haken) zwischen Quelle und Mündung des Rheins. Wer einen Blick auf dieses erhabene Amphitheater der Reben werfen möchte, sollte die allenthalben touristisch gepflegte Rheinromantik aus Burgruinen mit Eisenbahnanschluss hinter sich lassen und von der Bopparder Seite mit der Fähre übersetzen. Im bemerkenswert ruhig-beschaulichen Osterspai wenige Kilometer stromabwärts führt Jens Didinger den einzigen rechtsrheinischen Winzerbetrieb, der im Hamm über Anteile an den besten Einzellagen verfügt. 

Vom Didinger‘schen Gutsausschank blickt man direkt in die „Feuerlay“, eine jener gutseigenen Renommierlagen. Noch bis zum Anfang der Flurbereinigung im Jahr 1968 mussten sich die Osterspaier Winzer hier mit Lastkähnen durch den Rheinstrom zum anderen Ufer kämpfen, um die Weinhänge zu bewirtschaften, wie der Winzer gerne an einem kleinen Holzmodell solcher „Weinfähren“ mit anekdotenreicher Fabulierlust zu erläutern versteht. Mühten sich die Winzer damals auf hunderten von Terrassen und Parzellen in den Hang, entstanden allmählich Rebflächen, die sich mit Hilfe von Maschinen bewirtschaften ließen. Es blieb die aufwändige Kärrnerarbeit für einen qualitätsbewussten Winzer, der das außerordentliche Potenzial seiner exponierten Lagen auch zu nutzen und den Bestand seiner Rebflächen beharrlich auszubauen verstand. Heute ist Jens Didinger der letzte Aufrechte in Osterspai, der sich an den Steilhängen die Finger wund arbeitet. Spontanvergärung und umweltschonende Arbeitsprozesse passen hier zu einer behutsamen Weinbereitung, die das „flüssige Gold“ ins Glas zaubert. 

Da ist sie nun wieder, jene ganz andere Romantik am Mittelrhein, die unsere Sinne bewegt, der „Duft jener Bergesufer, auf denen die Freude wächst“, wie es Heinrich Heine einmal formulierte, wohl nach einem tiefen Blick ins Rheinweinglas. Hier gerät die Fachwelt vor allem bei den fein verspielten, zurückhaltend-eleganten und fruchtbetonten Rieslingen ins Schwärmen, mit denen der diplomierte Weinbautechniker sich Anerkennung und bundesweite Auszeichnungen verdient hat. „Riesling ist etwas, was wir können. Das lässt sich nicht kopieren!“ Diese Weine sind die Früchte einer Leidenschaft für das Unverwechselbare dieser Region, mit der Jens Didinger ebenso verwachsen scheint, wie seine Reben mit den gebietstypischen Schieferverwitterungsböden. Sie sind gleichsam die Brücke zu einer Weinbautradition, die sich bei den Didingers in Osterspai bis auf das 17. Jahrhundert zurückdatieren lässt. Zu dieser Traditionsverbundenheit passt denn auch die liebevolle Pflege eines kleinen ummauerten Weingartens (frz. clos) an der Rheinfront der Ortschaft gelegen, der seit dem 18. Jahrhundert zu den Liegenschaften der dort ansässigen Freiherrn von Preuschen gehört, bestockt mit Riesling und Müller-Thurgau.

Aber diese Geschichte vom Mittelrhein steckt noch in den Anfangsgründen. „Wein braucht Zeit“, wie es der Ausnahmewinzer formuliert – und wir nutzen den Augenblick, um der verstreichenden Zeit mit einem Glas besten Didinger-Wein ein Schnippchen zu schlagen: Wer dem Zauber des Mittelrheins noch nicht erlegen ist, dem empfehlen wir den 2011er Riesling Kabinett trocken (cremig-schmelzige Art mit dezenter Säure, feine Frucht, Weinbergspfirsich, rosinige Noten) und einen überzeugend ausbalancierten, fruchtbetonten halbtrockenen Riesling des selben Jahrgangs. Beide Weincharaktere aus der Spitzenlage „Feuerlay“ des Bopparder Hamm zeigen sich bei aller Vielschichtigkeit äußerst zugänglich. leu

Kurzportrait für den Bremer Ratskeller, www.ratskeller.de





Rauen 0021 2 3.neu

Aromenzauber mit Lust und Liebe

Nach zahlreichen Auszeichnungen und Weinprämierungen bei bundesweiten Vergleichsverkostungen wurden zuletzt auch die Fachzeitschriften und einschlägige Weinführer auf das Weingut Walter Rauen in Detzem aufmerksam: Es ist die verdiente Anerkennung für die Leistungen eines Winzerbetriebs, der sich mit seiner kontinuierlichen Qualitätsarbeit vom Geheimtipp zu einem festen Begriff an der Mittelmosel entwickelt hat.
Stefan Rauen, der heute mit seiner Frau Doris Adams-Rauen federführend die Geschicke des Familienbetriebs lenkt, haben die Erfolge der vergangenen Jahre nicht abheben lassen. Für den aufgeschlossen-sympathischen Winzer zählen in erster Linie die Herausforderungen in Weinberg und Keller, wobei er die öffentliche und medienwirksame Resonanz zwar nicht ohne Stolz, aber mit zurückhaltender Bescheidenheit als Ansporn für die eigene kreative Arbeit versteht.

Sein Engagement konzentriert sich dabei nicht bloß auf die Entwicklungen im eigenen Weingut, die er mit „Lust und Liebe“ fördert. Stefan Rauen hat immer auch die Moselregion im Blick: Wenn er von seinem 12-Hektar- Weingut im Detzemer Würzgarten auf die gegenüber liegende Moselseite blickt, sieht er in der Ferne auf die Erhebung mit der klassischen Schiefersteillage „Thörnicher Ritsch“. Der Spitzenlage, in der noch wurzelechte Reben kultiviert werden, die zu einemgroßen Teil über 100 Jahre alt sind, und die lange zu den angesehensten an der Mosel gehörte, gilt seine besondere Leidenschaft. Es ist die mühevolle Arbeit an der Rekultivierung eines Weinmythos, die Rauen seit einigen Jahren das Geschmackspotenzial des Berges wieder in die Flasche zaubern lässt: leichte, elegante, mineralisch geprägte Weinunikate mit einer filigranen Fruchtigkeit.

„Das wertvollste in unseren Weinen sind die feinen Aromastoffe.“ Verantwortung für den Weinbau ist für den Visionär eine zentrale Frage des Weinstils, an dem sich das Terroir, die Herkunft eines Weines reliefartig ablesen lässt. Das betrifft nicht nur die Hauptrebsorte Riesling, sondern gilt ebenso für Rivaner, Weißen Burgunder und blauen Spätburgunder, die in den Detzemer Einzellagen Würzgarten (Flach-, Hang-, und Steillage mit einer Melange aus tiefgründigen Böden, Schieferverwitterung sowie sandigen Kiesböden) und Maximiner Klosterlay (55 Prozent Hangneigung) ideale Wachstumsbedingungen finden.Rauens sensible Kellerarbeit lässt aus den Gewächsen feine, gut ausbalancierte, harmonisch-runde Weine mit einer außergewöhnlichen Fruchtfülle entstehen, die Trinkfreude bereiten. leu

Kurzportrait für den Bremer Ratskeller, www.ratskeller.de




 

 

 

 

Fränkisches Wein-Mekka:
De
r Staatliche Hofkeller in Würzburg

„Es ist verboten.../das Zanken, Fluchen, Zoten reißen,/mit großen Worten um sich schmeißen,/das Kratzen, Schreiben an den Wänden,/das Klopfen an die Faß mit Händen,/Fürwitz und ander Ungebier,/geziemet sich durchaus nicht hier!“ – Die Regeln des „Kellerrechts“ am offiziellen Eingang zum Staatlichen Hofkeller in Würzburg mahnen den Besucher seit Alters her an ein schickliches Benehmen und zivilisiertes Gebaren, als gelte es, in dieser unterirdischen Kathedrale des Weins seine ungeschliffenen Alltagssitten zu humanisieren. Steigt man hier in der Würzburger Residenz, dem zu Beginn des 18. Jahrhunderts errichteten architektonischen Glanzstück des Baumeisters Balthasar Neumann, hinab, dann nimmt man, beflügelt von Tiepolos berühmten Deckenfresken, sein Dreigestirn aus Bacchus, Venus und Cupido vielleicht noch sinnlich im Gemüt, die überirdisch schäumenden Wonnen des Barock gerne mit.

Das unterirdische Reich ist geschwängert mit Aroma und dem Adel des Alters, die Holzfässer sind zuweilen so groß wie kleine Behausungen, Ehrfurcht gebietende Fassriesen, „Beamtenweinfässer“ aus dem Jahr 1784 erinnern daran, dass die Hofbediensteten einst zu einem Gutteil mit „flüssigem Sold“ entlohnt wurden. Von mächtigen Mauern bewehrt lagerten in diesem labyrinthischen Reich die edlen Weine der Fürstbischöfe, Könige und Kurfürsten. Heute befindet sich hier eine traditionsbewusste Weinerlebnis- und Begegnungsstätte mit modernen Präsentationsnischen für die Schatzkammerweine des Hauses. Architektur, Kunst und Rebensaft verbinden sich zu einem erfahrbaren Gesamtkunstwerk.

Das größte fränkische Weingut beeindruckt durch sein beträchtliches Lagenpo- tenzial auf rund 120 Hektar Rebfläche mit Parzellen in sämtlichen ausgewiesenen Prämiumlagen des Weinbaugebiets: Berühmte Namen wie Würzburger „Stein“ und „Innere Leiste“, Randersackerer „Pfülben“ oder „Julius Echter-Berg“ bei Iphofen stehen hier stellvertretend für die sprichwörtliche Weinvielfalt Frankens. Entsprechend hierzu das Rebsortenspektrum: Silvaner, Riesling, Müller-Thurgau, Weißburgunder oder Kerner bei den Weißweinen, Spätburgunder, Dornfelder, Portugieser und St. Laurent bei den roten Gewächsen. Im Staatsweingut, das Mitglied im Verband der Prädikatsweingüter (VDP) ist, setzt man konsequent auf einen naturnahen Qualitätsweinbau, der das enorme Lagenpotenzial auch zu nutzen versteht. Natur und Kunstfertigkeit des Winzers gehen hier im besten Sinne Hand in Hand: Das Ergebnis sind terroirgeprägte Weine mit einer strukturierten Dichte und vielschichtiger Fruchtaromatik.
In diesem Sinne empfiehlt der Bremer Ratskeller besonders zwei Weine des Hofkellers, die sich als niveauvolle Genusspartner präsentieren, und dies natürlich traditionell fränkisch in der typischen Bocksbeutelflasche mit exklusiver Ratskeller- Prägung: Beim „2008er Würzburger Stein Silvaner Kabinett trocken“ handelt es sich geradezu um fränkisches Urgestein. Die Rebsorte ist mit dem Frankenland so dicht verwoben, wie ein Bach‘sches Fugenwerk. Mit dem „2009er Randersackerer Marsberg Rieslaner Kabinett“ erweisen wir der fränkischen Neuzüchtung (Silvaner x Riesling) unsere Referenz und staunen über seinen bodenständig-barocken, gleichwohl anregend frischen und im Bukett duftigen Charakter. leu

Kurzportrait für den Bremer Ratskeller, www.ratskeller.de




 dsc7583.1.bearb 2 2

Weinunikate vom Weingut Joh. Jos. Prüm

Schon das herrschaftliche Jugendstilanwesen am Ufer der Moselpromenade in Bernkastel-Wehlen ist so frei von allen modischen Attitüden, als sei es ein Einspruch gegen die Zeitläufe; der behauene Stein vermittelt unaufdringlich den Eindruck von gewachsener Tradition, die das Weingut Joh. Jos. Prüm zu dem gemacht hat, was es heute ist. Zeit ist hier gleich in mehrfacher Hinsicht ein bedeutender Faktor: im Bewusstsein für die eigene Geschichte, die seit rund 400 Jahren mit dem Weinbau, der Landschaft und den Menschen in dieser Region an der Mittelmosel verbunden ist, und natürlich mit Blick auf die legendären Weine des ehrwürdigen Hauses, die ihrerseits Geschichte geschrieben haben, wobei es wohl kaum ein zweites Moselweingut gibt, das dem ureigenen Weintypus so treu geblieben ist wie das Prümʻsche.

Dr. Manfred Prüm, der promovierte Jurist, übernahm die Leitung des Weingutes 1969 nach dem Tod seines Vaters Sebastian A. Prüm-Erz. Zusammen mit dem Großvater Johann Josef Prüm hatte dieser das Gut mit seinen feinen Auslesen, Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen bereits zu internationalem Ansehen geführt, ein großes Erbe mit Anspruch und Auftrag für die künftigen Generationen, das der Nachfolger seit mehr als vier Jahrzehnten mit Geschick und Erfolg verwaltet. Gegenwärtig deutet sich mit Prüms Tochter Katharina ein Generationenwechsel an. Nach Jurastudium, Promotion und Auslandsaufenthalten in den Vereinigten Staaten bereitet sie sich darauf vor, ihr Engagement nun ganz dem elterlichen Betrieb zu widmen.

Die Rieslinge von Manfred Prüm sind heute wahrscheinlich der Inbegriff des filigranen Moseltyps mit seiner traumwandlerisch-tänzelnden Leichtigkeit. Seine raren Weinunikate werden von der Weinkritik zuweilen hymnisch gefeiert, im poetischen Überschwang ganze Jahrgänge gar mit „Turmspitzen gotischer Dome“ verglichen, die „voller Anmut in die Höhe ragen“. Und Zeit ist auch hier der wesentliche Qualitätsfaktor: Die Rieslinge von Manfred Prüm – seine Vorliebe gilt hier den feinfruchtigen, halbtrocken schmeckenden Weinen, die sich durch eine sehr gute Balance zwischen Säure und Restsüße auszeichnen – entwickeln erst nach Jahren ihre unerreichte Finesse und Eleganz. Kabinett oder Spätlesen geben sich auch nach 20 Jahren noch so frischlebendig und klar wie Moselquellwasser. Ihre unverwechselbare Stilistik lässt sich auf einem zurückhaltenden, schonenden Weinausbau zurückführen, bei dem die jugendlichen Noten der Gewächse länger präsent bleiben. Und auch nach der Abfüllung benötigen die Weine Monate, mitunter ein bis zwei Jahre der Lagerung, um ihre charaktervolle Reife zu entwickeln. Unzweifelhaft verdankt sich diese außerordentliche Güte seiner Weine auch den exzeptionellen Lagen mit ihren teilweise sehr alten, wurzelechten Rieslingstöcken, die umweltschonend, in den Steilhängen mühevoll von Hand bewirtschaftet werden: „Wehlener Sonnenuhr“, seine größte und vielleicht wertvollste Einzellage, deren heutiger Name auf einen Ururgroßonkel Manfred Prüms zurückgeht, der hier im Jahr 1842 eine Sonnenuhr in den Weinberg bauen ließ, Parzellen im „Graacher Himmelreich“ in der „Bernkasteler Lay“ oder in der „Zeltinger Sonnenuhr“ – durchweg sehr gute, ja legendäre Lagen, die für den Weinfreund historischen Anteil haben am Weinmythos des Anbaugebietes.

Mosel, Steillage, Schieferböden und Rieslingrebe, die selten so überzeugende Ergebnisse liefern wie im Weingut Joh. Jos. Prüm, gehören hier zu jenen Qualitätsfaktoren, die große Weine entstehen lassen. Und auch wir im Bremer Ratskeller können uns glücklich schätzen über drei Prümʻsche Raritäten, allesamt Auslesen des Jahrgangs 1964, die wir wohlbehütet in unserer Schatzkammer verwahren – ein reifer Weinjahrgang übrigens mit guten Mostgewichten und niedriger Säure, der schon früh zugänglich gewesen sein soll, wie sich Manfred Prüm geradezu fotografisch erinnert. leu

Kurzportrait für den Bremer Ratskeller, www.ratskeller.de



 

Freiheitswille und Humanismus
400 Jahre Rathausfassade in Bremen

Wer etwas über die Seele Bremens erfahren möchte, den führt der Weg auf dessen Marktplatz, der so etwas wie der Kreativitätsort für die Psyche der Bremer Bürger ist: Hier im Herzen der Weserstadt befindet sich die Drehscheibe für neue und alte Stadtgeschichten und -Mythen, vor allem aber hinterlässt der Marktplatz durch seine hervorragende Architektur einen bleibenden Eindruck. Ein genauerer Blick auf die Statue des Roland und vor allem zur Schauseite der alten Rathausfassade lässt einen bemerkenswerten Kunstsinn erkennen, mit dem sich das selbstbewusste Stadtbürgertum einst seinen Anspruch auf Autonomie und die Prinzipien einer freiheitsverbundenen Republik onamentieren ließ. Es gibt in Deutschland kaum ein vergleichbar gut erhaltenes Rathausgebäude, an dem sich die 600jährige Geschichte einer autonomen Staatsverfassung so deutlich ablesen ließe.

Im Jahr 1405 legte man den Grundstein für den Rathausbau. Der Saalgeschossbau, „Tresor“ der Bürgerfreiheit, gilt bis heute als eines der schönsten Bauwerke der europäischen Spätgotik. Sein zentraler Figurenschmuck ist unmissverständlich politisch: Als Garanten der Reichsfreiheit dominieren die überlebensgroßen Figuren des Kaisers und seiner Kurfürsten an der Südseite des Bauwerks. Gleichzeitig verdeutlichte die Architektur die vom Bremer Stadtrat praktizierte Politik der Selbstregulierung.

Rund 200 Jahre später entschloss man sich unter Beibehaltung des gotischen Kernbaus zu einer Neugestaltung der spätmittelalterlichen Fassade, die durch den bremischen Baumeister Lüder von Bentheim im Wesentlichen ein erweitertes Bildprogramm in den aktuellen Formen der so genannten Weserrenaissance erhielt. Damit wurde einerseits der Anspruch auf Reichsfreiheit der Stadt untermauert, die nun andererseits durch eine geradezu enzyklopädische bildliche Ausstattung ergänzt wurde, an der exemplarisch der hohe humanistische Auftrag mit politischen und religiösen Themen dargestellt wird. Der manieristische Schmuck norddeutsch-niederländischer Prägung über den neu angelegten Arkadenbögen zeigt Eigenschaften und Tugenden die den Rat wie auch jeden Einzelnen nach damaligem Selbstverständnis moralisch auszuzeichnen hatten. Unter den dekorativen Elementen befinden sich unter anderen anthropomorphe Mischwesen aus Fabel und Allegorie: Meeresgötter und Wasserwesen, Tritonen (siehe Abbildung) gehören zum typischen Skulpturenschmuck am prominentesten Bau der Hansestadt, deren Bedeutung ja in besonderem Maße vom Wohl und Wehe der Kaufleute auf den Meeren abhängig war.

Lüder von Bentheim wurde 1595 zum “erbarn Rades Stenhower“ zu Bremen ernannt. Er war nicht nur maßgeblich für die Fassadengestaltung des Alten Rathauses zwischen 1608 und 1612 verantwortlich, sondern errichtete in Bremen ebenso die Stadtwaage und das Kornhaus. Zum Abschluss der Arbeiten zur Neugestaltung des Rathauses vor 400 Jahren erinnern die Stadt und der Bremer Ratskeller an dieses bedeutende Ereignis, seinen Baumeister und jenen liberalen Bürgersinn, der bis heute nichts von seiner Bedeutung verloren hat. leu

Kurzportrait für den Bremer Ratskeller, www.ratskeller.de